Aus zwei werden drei

Der Alltag mit dem Baby ist oft ganz anders als erwar­tet. Umso wichtiger, dass die Eltern ein starkes Team bilden und ihre Partnerschaft pflegen.

Stürmische Zeiten für die Familie

Nun ist es endlich da! Unser Baby! So klein, so zart, so lieblich schlafend – die Geburtsanzeige verkündet das pure Glück. Auf dieses Familienglück haben Paare oft lange hingefiebert. Die Erwartungen an das Leben zu dritt sind dementsprechend hoch: goldiges Baby, glück­liche Ehe, gemütliches Heim.

Der Alltag sieht oft anders aus: schlaflose Nächte, kri­selnde Beziehung, keine Zeit mehr für sich. Trotzdem können Kinder das pure Glück bedeuten, wenn Paare aufgeschlossen mit den neuen Aufgaben umgehen. Zwei Aufgaben sind dabei zentral: als Eltern ein starkes Team werden und die Partnerschaft unbeschadet durch die stürmischen Zeiten bringen.

Ein Kind verändert fast alles: den Lebensstil, den Freun­deskreis, die Wohnungseinrichtung und nicht zuletzt die Partnerschaft. Sobald es da ist, müssen seine Eltern neben der Liebes- und Freizeitbeziehung eine „Arbeitsbeziehung“ aufbauen; zwei, die vorher relativ frei über ihre Zeit und über ihre Mittel verfügen konnten, müssen sich zu einem verlässlichen Team zusammenraufen. Das ist ein Kraftakt, den viele unterschätzen. Unzählige Fra­gen, Entscheidungen, Absprachen hat ein Paar zu klären, wenn es in die neue Elternrolle hineinwächst: Wie wollen wir Eltern sein? Wie wollen wir unser Kind erziehen? Wer steht nachts auf? Wer tröstet das Baby? Wer sorgt für Einkommen und Haushalt? Wie schaffen wir Freiräume für uns zwei? Jetzt werden viele Weichen gestellt, die sich über Jahrzehnte hin auswirken. Wichtiger Gesprächsstoff also, der trotz des neuen Rund-um-die-Uhr-Jobs nach Antworten ruft, damit das „Projekt Familie“ gelingt.

Was den Start so schwer macht …

Schon immer war die Geburt des ersten Kindes eine große Veränderung im Leben eines Paares. Doch heute kommen mehrere Faktoren dazu, die die Bewältigung dieses Einschnitts erschweren.

  • Wer heute eine Familie gründet, weiß kaum, was auf ihn zukommt. Denn die jungen Eltern stammen zunehmend aus Kleinstfamilien und haben wenig Vorerfahrung in Sachen Kindererziehung.
  • Manchmal fehlen auch Vorbilder für das Zusam­menleben als (Eltern-)Paar, denn immer mehr junge Erwachsene sind nach der Trennung und Scheidung ihrer Eltern allein bei der Mutter oder (eher selten) bei ihrem Vater aufgewachsen.
  • Und: Wer heute eine Familie gründet, kann nicht wiederholen, was Eltern oder Großeltern vorgemacht haben. Sowohl das Leben innerhalb der Familie als auch die Lebensumstände rund um die Familie ha­ben ein völlig anderes Gesicht. Im bundesdeutschen Durchschnitt sind die Frauen heute bei der Geburt des ersten Kindes 30 Jahre alt. Bis dahin haben sie seit ihrer Schulzeit genauso wie ihre Männer vor allem auf ihren beruflichen Erfolg hingearbeitet. Doch wer 20 Jahre mit Ausbildung und Beruf beschäftigt war und sich von heute auf morgen auf ein Kind einstellen soll, muss sich gewaltig umstellen. Denn der Umgang mit Kindern fordert oft ganz andere Qualitäten als die Auf­gaben im Berufsleben.

Aber auch manche anderen „Baustellen“ müssen Paare jetzt abarbeiten.

Die Aufgabenverteilung zwischen ihr und ihm

Für viele Paare bedeutet die Geburt von Kindern einen langjährigen „Rückfall“ in traditionelle Rollen. Frisch­gebackene Väter arbeiten häufig noch mehr als vorher. Trotz der „Vätermonate“ beim Elterngeld hat sich da­ran (noch?) nicht sehr viel verändert; die Mehrheit der erwerbstätigen Väter bleibt nur für zwei Monate zu Hause. Umgekehrt verabschieden sich junge Mütter, die vorher leidenschaftlich berufliche Ziele verfolgt haben, aus dem Berufsleben oder arbeiten nur mehr in Teilzeit.

Gleichzeitig übernehmen sie fast selbstverständlich die Hausarbeit, selbst wenn vor der Familiengründung beide Partner sich den Haushalt teilten. „Du bist ja jetzt zu Hause!“, sagt die Schwiegermutter beiläufig – was lässt sich da noch entgegnen?

Vordergründig mag das stimmen. Dennoch ist es wichtig für das Paar und den Familienfrieden, dass auch der Hauptverdiener sich an der Hausarbeit beteiligt, damit er den gewaltigen Arbeitszuwachs nach der Geburt des Kindes einschätzen kann. Spätestens jetzt ist es eben nicht mehr „das bisschen Haushalt“. Und: Nur wenn Paare die veränderte Arbeitsteilung im Gespräch mit- einander verarbeiten, kann die Frau sich richtig über ihr Baby freuen; sie braucht einen Ansprechpartner, bei dem sie über den Abschied aus dem erfolgsorientierten Berufsleben und aus dem geistigen Austausch mit Kolle­gen trauern darf. Nur wenn diese Trauer erlaubt ist, kann der Mann weiterhin von seinen beruflichen Erfolgen und Missgeschicken berichten, ohne den wortlosen Neid seiner Frau zu ernten. Im Gegenzug wird sie ihn stärker an ihren glücklichen wie frustrierenden Erlebnissen mit dem Baby teilhaben lassen – so wie damals, als sie beide berufstätig waren und einander in den Abendstunden von ihrem Tag am Arbeitsplatz erzählten.

Die Abhängigkeit von der Unterstützung anderer

Andere Eltern, die beide weiterhin „voll“ im Beruf bleiben wollen, brauchen dazu ein Höchstmaß an Organisationsmanage­ment und persönlichem Einsatz. Regenerationszeiten und Unterstützung von außen sind dabei unabdingbar.

Paare zu zweit allein sind flexibel und frei. Sie können ihren Freundeskreis frei wählen und den Abstand zur eigenen Familie selbstständig gestalten. Dagegen ist ein „doppelt berufstätiges“ Paar mit Baby dringend auf die Hilfe an- derer angewiesen. Wie schön, wenn in der Nähe Verwandte oder enge Freunde leben! Doch heute wohnen viele Famili­en allein, ohne ein tragfähiges Unterstützungssystem in der unmittelbaren Umgebung. Partyfreunde eignen sich dazu meist wenig, Kollegen auch nicht; also gilt es für die meis­ten, einen neuen Freundeskreis mit jungen Familien aufzu­bauen. Doch das braucht Zeit. Heute ist es daher wichtiger denn je, dass sich die Partner in den ersten Monaten als El­tern gegenseitig unterstützen; in den ersten Lebenswochen des Babys empfinden viele Frauen es bereits als Liebeserklärung, wenn ihr Mann das Baby hütet, damit sie in aller Ruhe duschen kann.

Doch alleine schaffen zwei es nicht! Zu keiner Zeit in der Weltgeschichte haben Eltern ihre Kinder ganz alleine großgezogen. Eltern brauchen sich deshalb keineswegs zu scheuen, rechtzeitig um Hilfe zu bitten. Das kann heißen: Wir bitten unsere (Schwieger-)Eltern um regelmäßige Un­terstützung. Oder aber: Wir kaufen uns die nötige Hilfe ein. Eine Zugehfrau, ein regelmäßiger Babysitter können den Familienfrieden nachhaltig fördern.

Den Umgang mit dem (knappen) Geld

Viele junge Fa­milien haben trotz Elterngeld deutlich weniger Geld zur freien Verfügung, weil sie jetzt ja für drei sorgen müssen.
Daher gilt es genau zu überlegen, wo sie ihr Geld jetzt investieren. Ist das wirklich der richtige Zeitpunkt für das Häuschen im Grünen oder die größere Familienkutsche, wie es die Werbung jungen Eltern nahelegt? Oder brauchen sie ihr Geld nicht zunächst viel dringender, um wieder gemeinsam durchschnaufen zu können? Es lohnt sich in dieser Phase, die auch ohne finanzielle Sorgen anstrengend genug ist, in die Zukunft der Liebe zu inves­tieren: Für 5000 Euro können die beiden sich locker 500 Babysitterstunden leisten!

Die Pflege der ehelichen Beziehung

Wenn die Liebe die anstrengenden Nächte und Tage mit dem Baby überleben soll, brauchen die Partner sowohl gemeinsam als auch jede(r) für sich genügend Auszeiten. Das Baby weiß nichts von der Zeit vor seiner Ankunft; es wird in beiden immer nur seine Eltern sehen. Das Paar aber vermisst die leichte, lustvolle Seite seines gemeinsamen Lebens – früher oder später… Hoffentlich sorgt deshalb jemand rechtzeitig für die Liebesinseln!

Nach der Geburt des ersten Kindes ist die erotische Be­ziehung zwischen Mann und Frau recht verletzlich. Viele Männer wünschen sich mehr Sex als ihre Frauen – doch das heißt nicht, wie gemeinhin vermutet, dass Männer eben mehr Lust hätten als Frauen. Nichts als Unkenrufe! Frauen haben nicht weniger Lust, sind aber als junge Mütter mehr Erotikkillern ausgesetzt. Wer chronisch übernächtigt und ausgelaugt ist, dem vergeht die Lust an der Lust, egal ob Manager oder stillende Mutter. Es braucht ein Mindestmaß an Regeneration, um überhaupt wieder Sinnlichkeit in sich zu spüren. Daher sind für Mütter freie Zeiten allein oft ein erster Schritt, wieder ins Liebesleben zurückzufinden.

Spätestens nach dem Abstillen sollte deshalb wieder ein Abend für die Liebe alle zwei Wochen drin sein. Essen ge­hen, Kino – Hauptsache, weit weg von den Windelbergen. Jedes Paar kennt selbst seine Lieblingsorte, wo die Liebes­geister wieder erwachen.

In die Elternrolle hineinwachse

Und gleichzeitig, während Paare alle diese Herausforde­rungen verarbeiten, müssen sie sich auch noch als Eltern zusammenraufen. Dabei machen sie zunächst ihre je ei­genen Erfahrungen. Meist werden die Mütter schneller mit ihrem Kleinen vertraut, einfach weil sie viel mehr Zeit mit ihm verbringen. Doch deswegen sind die Beziehungserfahrungen, die Mutter und Kind miteinander machen, nicht per se „wichtiger“ als die von Vater und Kind. Ein Spaziergang mit Papa bietet ganz andere Erlebnisse als ein Spielplatzbesuch mit Mama. Papa wickelt ganz anders als Mama, vom Füttern ganz zu schweigen. Je mehr sich jun­ge Eltern ein bewusstes Nebeneinander vornehmen, ihre unterschiedlichen Erziehungsqualitäten gegenseitig wert­schätzen und sich darüber austauschen, desto reichhaltiger wird ihr Erfahrungsschatz im Umgang mit ihrem Kind, und es entsteht ein aktives Miteinander.

Zugleich machen die Eltern ihrem Kind damit das größte Geschenk: Es darf sie beide mit all ihren individuellen Stär­ken und Schwächen kennen lernen. Wenn beide Eltern für ihr Kind da sind, sich im Kontakt auf seine Augenhöhe be­geben und feinfühlig auf seine Bedürfnisse und Äußerun­gen eingehen, entwickelt es ein positives Bild vom eigenen und vom fremden Geschlecht.

Funktionierendes Eltern-Teamwork

Das zweitgrößte Geschenk von Eltern für ihr Kind ist ein funktionierendes Eltern-Teamwork. Dazu gehört nicht nur, dass beide Eltern für ihr Kind sorgen. Schon bei Ein­jährigen stehen Erziehungsfragen an, bei denen die Ansich­ten von Vater und Mutter womöglich weit auseinander- gehen. Wie gehen sie dann miteinander um? Wie reden sie miteinander? Wie streiten sie und wie versöhnen sie sich? Kinder lernen in der frühen Kindheit nicht nur die Dinge in der Welt kennen, sie erforschen auch Beziehungen. Und sie wünschen sich ein verlässliches Elternteam.

Eltern werden ist ein langjähriger Prozess mit immer neu­en Herausforderungen. Manche Anstrengungen nehmen Eltern dabei gerne in Kauf, anderes tun sie wirklich nur den Kindern zuliebe. Aber so anstrengend das Leben im ersten Jahr auch sein mag, es ist gleichzeitig wunderschön! Das faszinierende Gefühl, diesen kleinen Menschen auf die Welt gebracht zu haben; das unbedingte Bedürfnis, für ihn sorgen und ihn beschützen zu wollen; die enge Verbin­dung, die er zum Partner schafft – das schenkt Momente puren Glücks.

Eva Tillmetz